Expeditionskreuzfahrtschiffe fahren in die entlegensten Regionen: Arktis, Antarktis, Amazonas, kleine Inseln in der Südsee. Cruisetricks.de diskutiert mit Axel Engeldrum, Kapitän der Hanseatic Spirit, über die Verantwortung für Natur und Menschen auf solchen Kreuzfahrten und fragt: Was haben wir dort überhaupt verloren? Ein Interview über den Konflikt zwischen Entdeckerdrang, Unberührtheit von Natur und Kulturen – und den unterschätzten Nutzen solcher Reisen.
Während unserer Alaska-Kreuzfahrt mit der Hanseatic Spirit hatten wir Gelegenheit, mit Kapitän Axel Engeldrum auch über einige nicht offenkundigen Facetten dieses Themas zu sprechen. Engeldrum ist seit rund 20 Jahren auf Expeditionsschiffen unterwegs und sagt: „Wer reist, sollte sich bewusst sein, was er hier tut und das auch selbst einmal hinterfragen.“
Es ist ein nachdenkliches Interview, das aber auch zeigt, welch positive Wirkung Expeditionskreuzfahrten entfalten können, wenn man es richtig anpackt.
Franz Neumeier: Wenn man mit dem Expeditionskreuzfahrtschiff nach Spitzbergen, in die Antarktis oder zu entlegenen, chilenischen Fjorden fährt, bekommt man schonmal Reaktionen wie: „Was haben Menschen dort verloren?“ oder „Warum lassen wir die Natur nicht einfach in Ruhe?“ Ich nehme an, dass Sie solche Reaktionen als Kapitän auch kennen. Wie gehen Sie damit um, wie reagieren Sie darauf?
Axel Engeldrum: Ich kann die Nachfragen verstehen. Wenn man noch nie in einer solchen Region war, sich damit nicht auseinandergesetzt hat oder das nur von außen betrachtet hat, dann hat man erst einmal eine solche Meinung dazu.
„Wenn man von bestimmten Regionen wenig weiß, hat man auch wenig Interesse daran.“
Ich kenne das aus meinem privaten Bereich genauso wie teilweise aus Gesprächen mit unseren Gästen. Da hinterfragt man das Ganze auch selbst noch einmal. Warum sind wir gerade hier und wie geht man damit um?
Im Endeffekt ist die Idee dahinter: Wenn man von bestimmten Regionen wenig weiß, hat man auch wenig Interesse daran. Wenn man sich nie für die Arktis und Antarktis interessiert, keine Gletscher angesteuert hat, weiß man nicht, was es bedeutet, dass sich Gletscher zurückziehen.
Wenn man dieses ganze Wissen nicht verbreiten kann, viele Menschen oder auch nur Einzelne das an Land multiplizieren können – dann, glaube ich, droht die Gefahr, dass so etwas als uninteressant gilt.
Franz Neumeier: Gestern waren wir hier in Alaska an einem Gletscher mit seitlich einem gewaltigen Wasserfall, trotz Regen an dem Tag im Wesentlichen aus riesigen Mengen Schmelzwasser; oder vor einigen Tagen an einem anderen Gletscher mit sehr starken Strömungen die durch das vom Gletscher ausgespülte Schmelzwasser entstanden und unser Schiff richtig in Bewegung versetzt hat; das sind Erlebnisse, die man sich sonst kaum vorstellen kann.
In kann mir jetzt deutlich besser vorstellen, warum Gletscherschmelze so dramatisch ist, wenn man diese Dimensionen hier sieht. Wirkt da bei Passagieren nach, die solche Erfahrungen machen? Verändert es das Denken der Menschen?
Axel Engeldrum: Ja, das ist zumindest die Hoffnung, dass es Denken und Verhalten verändert. Deswegen arbeiten wir das mit unseren Gästen auf. Es geht ja bei uns nicht nur darum, zum nächsten Gletscher zu fahren, mit dem Zodiac nahe heran, spektakuläre Bilder suchen, dann mit einem tollen Gletscherbild zurückkommen – und das war’s.
„Das ist zumindest die Hoffnung: dass es Denken und Verhalten verändert.“
Wir haben Glaziologen und Geologen an Bord, die das Ganze angehen. Wir haben Klimawissenschaftler an Bord, die ebenfalls darauf hinweisen. Wir wollen davon nicht ablenken und sagen: ‚Das ist schon ein hübscher, blauer Gletscher. Und da ist ein Fjord, der ursprünglich mal von einem Gletscher befüllt war, der sich zurückgezogen hat und macht mal schöne Bilder davon.‘ Klar, man macht die Bilder, erlebt das, ist fasziniert von dem, was man sieht.
Aber das Ganze wird dann aufgearbeitet in den Vorträgen an Bord. Die waren auf dieser Reise ja alle gut besucht und anschließend gibt es auch immer regen Gesprächsbedarf. Das erlebe ich auch, wenn ich in der Ocean Academy vorbeischaue, dann wird dort darüber diskutiert.
„Ich war vor zehn Jahren zuletzt hier. Was ist seitdem passiert?“
Wir sind ja auch selbst schon lange dabei. Ich mache auch seit 20 Jahren hier Bilder in der Region und kann immer wieder mal alte Fotos rausholen und vergleichen: Ich war vor zehn Jahren zuletzt hier. Was ist seitdem passiert? Darüber reden und dieses Wissen zu teilen – das ist, glaube ich, eine wichtige Sache.
Sich das Ganze in einer guten BBC-Reportage anzuschauen, ist dann auch schnell wieder vergangen. Aber es hautnah zu erleben und zu erkennen: ‚Darum geht es hier eigentlich; das sind die Themen, die in der Welt gerade passieren.‘
Wenn wir bei uns in Deutschland Rekordtemperaturen haben, ein Jahr nach dem anderen, dann wird das selbst da deutlich. Man weiß, okay, hier passiert tatsächlich irgendwas mit dem Klima. Das ist die Idee, so etwas zu vermitteln.
Franz Neumeier: Sie haben die Ocean Academy der Hanseatic-Schiffe von Hapag-Lloyd Cruises schon angesprochen. Das ist eine Art Multimedia-Schulungsraum, wenn man so möchte, und dazu mit einem schönen Ausblick ins Freie. Man als Passagier also nicht in einen abgedunkelten Raum sitzen beziehungsweise wählen zwischen schöner Aussicht und etwas lernen …
Axel Engeldrum: Ja, das geht beides gleichzeitig.
Franz Neumeier: Ich war heute in der Ocean Academy und habe mir das angeschaut. Die Biologin hatte vor dem Gletscher eine Wasserprobe genommen und analysierte die in einem der wirklich tollen Mikroskope, einschließlich Übertragung der Bilder auf eine Handy-App und natürlich auf einen großen Bildschirm. Was da an winzigsten Tierchen direkt vor dem Gletscher im Wasser zu sehen war, fand ich sehr faszinierend.
Da waren viele von den Passagieren, die nicht nur mal kurz vorbeigeschaut haben, sondern sich intensiv damit beschäftig haben. Ich war ungefähr eine Viertelstunde dort und glaube, ich bin als Letzter gekommen und als Erster wieder gegangen.
Schon die relativ kurze Zeit hat mir viel mehr Verständnis dafür gegeben zu dem Ökosystem vor dem Gletscher, warum diese Lebewesen da zu finden sind, wovon sie sich ernähren und dass sie dafür beispielsweise eine Algenblüte brauchen. Und diese Tierchen sind dann wiederum Nahrung für andere Lebewesen.
Da kommt man einfach auch mit Themen in Berührung, für die man sich zu Hause im Alltag vielleicht nicht aktiv interessieren würde.
Axel Engeldrum: Ja, dafür hat man sonst keine Zeit. Da erlebt man dann auch das Extreme in diesen Gebieten, sieht sich einen Gletscher an und sieht ihm beim Schmelzen zu. Wo vor Kurzem noch Eis war, ist da jetzt nur noch Geröll.
„Da kann man nur erleben und verstehen, indem man da hinfährt.“
Wir haben heute auch erlebt, dass ein Gletscher ein eigenes Klima schafft. Man steht davor und merkt, es gibt ein Mikroklima in Gletschergebieten, die ihre eigenen Biotope schaffen. Ganz spannend eben, dass unsere Biologin da heute rausgehen und Proben nehmen konnte, Plankton herauszufischen, in Plankton-Netzen, wie wir das nennen, also kleine Krebse rauszuholen und das Ganze unterm Mikroskop zu zeigen und auch zu zeigen, dass es am Gletscher eben nicht nur um die Robben geht, die Bruchstücke und Eisflächen vor dem Gletscher brauchen, um sich auszuruhen.
„Man sagt, 90 Prozent aller Gletscher weltweit gehen zurück. Aber was heißt das eigentlich?“
Da kann man nur erleben und verstehen, indem man da hinfährt. Das kann man nicht anhand von Daten sehen. Man sagt, 90 Prozent aller Gletscher weltweit gehen zurück. Aber was heißt das eigentlich? Was ist die Bedeutung? Das ist die Idee dieser Wissensvermittlung, die bei uns ganz im Vordergrund steht.
Franz Neumeier: Kann die Kreuzfahrt auch direkt zur Forschung beitragen? Also: Kann man mit den genommenen Proben beispielsweise auch Forschungsreihen bedienen? Hilft das der Wissenschaft? Oder dient das vor allem dem Erlebnis für die Passagiere?
Axel Engeldrum: Direkt der Wissenschaft helfen wir, indem wir weltweit Klima-Daten liefern. Das machen wir mit dem Deutschen Wetterdienst zusammen. Da wir permanent in sehr entlegenen Regionen unterwegs sind, wo es kaum Wetterstationen gibt, weil dort einfach sonst niemand hinfährt, sind das wichtige Daten, die wir übermitteln können, als kleiner Beitrag sozusagen, um das Netz an Messdaten zu verbessern.
Am Oberdeck am Radarmast ist eine große Station, die verlinkt ist mit dem Deutschen Wetterdienst. Das sind so Kleinigkeiten, die wir beitragen können, die aber als Messdaten sehr wichtig sind.
Also, es ist schon in erster Linie Wissensvermittlung, was wir machen. Die Wissenschaftler an Bord kommen von renommierten Instituten, die sehr stark in der Forschung unterwegs sind. Immer wieder haben wir viele Kollegen, die regelmäßig zu uns kommen, die von ihren Forschungen auch berichten.
„Ein wichtiger Punkt: Den Menschen die Forschung nahebringen und zu zeigen, was da geschieht.“
Auch das ist ja ein wichtiger Punkt: Den Menschen die Forschung nahebringen und zu zeigen, was da geschieht, eben auch viel im Hintergrund. Man weiß, in der Antarktis wird geforscht, aber kaum einer weiß, was genau da eigentlich geforscht wird? Warum überwintern jedes Jahr etwa 40 bis 50 Leute in der Antarktis und was machen die dort für Forschung?
Und es geht ja nicht nur um Klima, es geht auch um das kulturelle Leben in den Regionen, die wir besuchen. Wie leben die Einwohner dort? Das haben wir auf dieser Reise auch machen können, indem wir Siedlungen besucht haben, die sonst nicht im Rampenlicht stehen.
Es ist nicht unbedingt die Hauptstadt von Alaska, die wir aufsuchen wollten, sondern wir wollten in Ortschaften, die abseits sind.
Franz Neumeier: Wir waren gerade in Kake, Alaska. Das ist ein sehr faszinierender Ort mit den Tlinkit-Indianern dort, zu denen wir einen relativ intensiven Kontakt hatten. Die Leute waren vor Ort in ihrem Dorf ansprechbar, offen, freundlich, man konnte sich mit ihnen unterhalten. Das ist natürlich ein Vorteil in Alaska: Man kann Englisch sprechen, im Vergleich beispielsweise zu Südamerika, wo ich mich leider auf Spanisch nicht gut verständigen kann, nur notfalls mit Händen und Füßen.
Insofern ist die Frage, ob wir Menschen in so entlegene Regionen mit dem Kreuzfahrtschiff fahren müssen oder sollten, längst nicht nur eine Frage der potenziellen Umweltverschmutzung. Beispiel Amazonas. Oder Madagaskar, eines der ärmsten Länder der Welt. Das sind Länder, aus denen bei uns durchaus auch Asylbewerber stammen. Ich denke, es leistet einen gewissen Beitrag, wenn wir diese Länder und die Menschen dort in ihrem Zuhause kennenlernen, damit wir sie besser verstehen.
Warum flüchten diese Menschen? Warum kommen die zu uns? Wie wohl oder mutmaßlich eben gerade nicht wohl fühlen die sich wahrscheinlich bei uns und würden eigentlich viel lieber wieder in ihre Heimat zurück, wenn sie könnten. Erleben Sie das bei den Warmwasserexpeditionen so in einer ähnlichen Form? Diese augenöffnenden Aha-Effekte für Passagiere?
Axel Engeldrum: Ja, Madagaskar ist ein gutes Beispiel. Da war ich zwar über sechs Jahre nicht mehr, aber ich kenne das Land sehr gut. Ja, es ist wichtig, dass man mitbekommen, wie das dort funktioniert und mit den Leuten vor Ort spricht.
„Auch das kann man ruhig mal ansprechen auf den Reisen.“
Natürlich gehen wir dort nicht mit allen Passagieren, die an Bord sind, gleichzeitig an Land, sondern wir verteilen uns in Gruppen. Und Einheimische kommen zu uns an Bord, mit denen man sich austauschen kann. Ob das nun der Hafenagent ist, der einfach beruflich hierher muss, oder die Hafenarbeiter vor Ort und man kommt mit Leuten zufällig in Kontakt und lernt zu verstehen, was die Probleme dort sind.
Oder man sieht beispielsweise den Minenabbau, diesen Bodenschatz-Reichtum in Madagaskar. Das ist ein unheimlich reiches Land an Bodenschätzen und trotzdem schafft es das Land selbst nicht, davon zu profitieren, weil das ausländische Firmen kontrollieren. Auch das kann man ruhig mal ansprechen auf den Reisen. Das ist schon was.
Franz Neumeier: Wir haben das selbst Madagaskar erlebt, mit der Vanille dort. Da wird einem ein faustdickes Bündel Vanille für zehn Dollar angeboten. Dafür müsste ich bei uns fast 1.000 Euro bezahlen, wo schon eine einzelne Vanillestange 7 Euro kostet.
Das ist sehr – wie soll ich es formulieren – faszinierend; nein, das klingt zu positiv. Ich fand es auf eine nicht positive Weise faszinierend zu sehen, wie wenig von diesem wertvollen Produkt an Geld bei den Einheimischen hängenbleibt. Und irgendwo dazwischen sitzt jemand, der offensichtlich riesigen Profit macht. Das war mir vorher so nicht bewusst.
„Man ist verbunden mit den Vorzügen der Globalisierung und was auf der anderen Seite passiert, das ist einem oft gar nicht bewusst.“
Axel Engeldrum: Da ist man so ein wenig außen vor. Die Globalisierung hört sich immer gut an, alles ist überall vernetzt und verbunden, aber eben eigentlich nur im positiven Teil, zumindest für in der westlichen Welt. Man ist verbunden mit den Vorzügen der Globalisierung und was auf der anderen Seite passiert, das ist einem oft gar nicht bewusst. Oder will man es vielleicht nicht wissen. Oder hat man keine Zeit oder hat die Quellen nicht.
Diese Reisen sind schon gut geeignet, da mal reinzuschauen, was da passiert? Das ist ein gutes Beispiel, das Sie mit der Vanille ansprechen. Dass der Bauer vor Ort zu ganz anderen Preisen verkaufen könnte. Was für eine Diskrepanz da ist.
„Das ist anders als nur darüber zu erzählt zu bekommen.“
Bei Reisen in Warmwasserländer dreht man sozusagen die Globalisierung einmal um. Wenn man nach Mikronesien fährt und dort etwa die äußeren Fidschi-Inseln als Beispiel nimmt. Da war ich zuletzt und man sieht, wie flach diese Inseln sind, dass sie wirklich von der Klimakatastrophe betroffen sind. Das ist anders als nur darüber zu erzählt zu bekommen.
Da kann man nicht mehr sagen: ‚Na ja, selbst schuld, wer so nah am Wasser wohnt.‘ Die können ja gar nicht woanders hinziehen. Das sind Inseln, auf denen die Menschen noch nie eine Alternative hatten.
Und das ist schon, finde ich, etwas, das einem beim Reisen sehr die Augen öffnet. Oder zumindest bei mir ist das so.
Franz Neumeier: Jetzt kann man natürlich argumentieren und sagen, man richtet dort als Tourist potenziell auch Schäden an. In Relation dazu ist es, ich sage es mal so, eine ganz kleine Elite von reichen Menschen, die sich solche Reisen leisten kann. Hat das überhaupt einen großen Effekt? Steht das im Verhältnis?
„Einen großen Lebenstraum zu erfüllen: einmal im Leben in die Arktis zu kommen oder einmal Grönland zu sehen.“
Axel Engeldrum: Das ist auch immer Definitionssache. Was ist einen ‚Elite von reichen Menschen‘? Unser Kundenstamm, ist sehr bunt gemischt. Wir haben viele Gäste, die sehr, sehr lange auf eine Reise sparen und sich damit einen großen Lebenstraum zu erfüllen: einmal in ihrem Leben in die Arktis zu kommen oder einmal Grönland zu sehen.
Auch die Gäste habe ich hier an Bord und die sich ganz bewusst für diese Reise entscheiden, weil sie nicht nur schnell das Bild haben wollen, sondern auch wissen wollen: Was passiert hier eigentlich?
Aber man darf das nicht über einen Kamm scheren. Es gibt auch Gäste, die finanziell ganz anders aufgestellt sind. Für sie ist es keine große Hürde, so eine Reise zu leisten.
Franz Neumeier: Und das sind potenziell Menschen, die vielleicht in der Wirtschaft, in der Politik aktiv sind, die also einen gewissen Einfluss in unserer Gesellschaft haben mit der Erfahrung, die sie hier sammeln, oder?
„Es muss jeder individuell entscheiden, warum er reist. Ich kann ja keinem Gast etwas aufzwingen.“
Axel Engeldrum: Das sind Menschen in wirtschaftlichen Führungspositionen, gut vernetzt oder in wichtigen Positionen, die auch im Freundeskreis anders vernetzt sind und die als Multiplikator wirken. Sie erzählen von ihren Eindrücken, tauschen sich aus.
Andererseits muss auch jeder individuell entscheiden, warum er reist. Ich kann ja keinem Gast etwas aufzwingen.
Franz Neumeier: Nehmen wir doch einmal die Antarktis, wohin Reisen oft besonders kritisch gesehen werden. Overtourismus ist selbst dort inzwischen ein Thema. Welche negativen Folgen haben Antarktis-Reisen denn überhaupt? Kreuzfahrtschiffe fahren lediglich zur Antarktischen Halbinsel. Das ist im Vergleich zur gesamten Antarktis ein fast schon winziges Gebiet.
Axel Engeldrum: Da sind wir keine wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt, die festgestellt hätten, dass dort ein Schaden im klassischen Sinne entstünde. Um den Tourismus dort in vernünftige Bahnen zu lenken, haben sich Tour-Operator weltweit zusammengeschlossen in der IAATO und AECO. Das sind zwei Verbände, einmal für die Arktis, einmal für die Antarktis. Die wurden schon sehr früh auf freiwilliger Basis gegründet. Hapag-Lloyd Cruises war eines der Gründungsmitglieder.
Wir sind uns dort einig, dass wir Tourismus nicht entstehen lassen, der auf gegenseitigem Konkurrenzwettkampf basiert. Sondern es geht darum, dass wir uns gemeinsam untereinander absprechen: Was sind unsere Ideen, was sind unsere Regeln?
Wenn man beispielsweise merk: Es gibt vielleicht einen Ort in der Antarktis, der sehr beliebt wird und der womöglich von sehr vielen Schiffen in einer Saison angesteuert wird, wo früher nur zwei Schiffe im Jahr hinfuhren und jetzt 30. Dann regeln wir das ein.
„Den Tourismus dort in vernünftige Bahnen zu lenken klappt sehr gut.“
Das was kann man gut machen, indem man beschließt, dass im Jahr nur noch zehn Schiffe dort sind. In diesen Vereinigungen gibt es jedes Jahr eine große Sitzung, in der durchaus auch sehr kontrovers diskutiert wird über neue Konzepte und Ideen.
Das ist die Hauptidee: Dass man den Tourismus, der da entsteht oder entstanden ist, versucht, in vernünftige Bahnen zu lenken. Und das klappt sehr gut.
Franz Neumeier: Wie einigt man sich denn in einem solchen Fall? Nehmen wir als Beispiel die Deception Bay in der Antarktis, oder Paradise Bay, zwei der bekanntesten Orte dort. Da will ja eigentlich jeder hin und da ist es ja auch wunderschön. Das sind sehr besondere Plätze. Wenn Sie jetzt sagen, man findet, dass 25 Anläufe in diesem Jahr zu viel waren und man will reduzieren auf zehn im nächsten Jahr: Welche Reederei hebt denn freiwillig die Hand und sagt: ‚Okay, dann fahre ich da eben nicht mehr hin.‘ Wie regelt man das?
Axel Engeldrum: Ganz einfach. Es gibt die Plätze und man muss sich dafür einbuchen und dann kann man dahinfahren.
Es darf nie mehr als ein Schiff zur gleichen Zeit irgendwo sein und es muss eine Zeit dafür frei sein. Manchmal gibt es Limitierungen in den Tageszeiten und es gibt komplette Zeiten, zu denen man gar nicht dorthin hinfährt.
„Wenn wir also beispielsweise an einem Tag die Paradise Bay planen wollen und ein anderes Schiff ist da schon gebucht, dann ist das Thema damit für uns erledigt.“
Und dann werden diese Slots von den Veranstaltern gebucht. Wenn keine Slots mehr verfügbar sind, dann kommt man da nicht mehr hin.
Wenn wir also beispielsweise an einem Tag die Paradise Bay planen wollen und ein anderes Schiff ist da schon gebucht, dann ist das Thema damit für uns erledigt. Aber wir kennen uns in der Region auch sehr gut aus und wissen, wo es tolle Alternativen gibt.
Auch wenn die Antarktische Halbinsel klein klingt – das ist trotzdem ein Riesengebiet. Man verteilt sich da sehr gut. Das klappt bisher sehr gut. Wir müssen schauen, was vielleicht in zehn Jahren ist und wo die Reise hingeht. Wie viele Schiffe kommen noch dorthin? In dem Raum, in dem wir uns jetzt bewegen, trotz des Zuwachses, den wir in den letzten sieben Jahren erlebt haben, klappt das sehr gut.
Neben den Absprachen in der IAATO haben inzwischen haben auch mehrere Länder das umgesetzt, was bei uns in Deutschland das Umweltbundesamt tut. Das ist für uns zuständig und jede Reise, die wir in der Antarktis machen, die müssen dort erst wir beantragen und Konzepte vorlegen. Und dann ist immer das jeweilige Land, in dem die Reederei sitzt, für die Freigaben verantwortlich. Auch das Bundesumweltamt ist durchaus angetan von den Regeln, die uns die IAATO, die wir uns selber aufgelegt haben.
Franz Neumeier: Und da spielt dann der Firmensitz eine Rolle? Denn die Expeditionsschiffe von Hapag-Lloyd Cruises fahren ja eigentlich unter maltesische Flagge …
Axel Engeldrum: Genau. Da ist der Firmensitz entscheidend. In vielen Bereichen ist ja der Flaggenstaat verantwortlich: Wenn es um Ausrüstung des Schiffes geht, und bestimmte andere Tätigkeiten im technischen Bereich. Aber da das ja ein touristisches Anliegen ist, das außerhalb des Schiffes stattfindet, geht es auch um den Ort, an dem die Reederei sitzt – bei uns Hamburg. Und damit ist das Bundesumweltamt für uns zuständig.
Franz Neumeier: Beobachten Sie, dass es aktuell Veränderungen, Verschärfungen der Regeln und Vorschriften gibt? Norwegen hat ja gerade in Spitzbergen deutliche Beschränkungen eingeführt, auch wenn Umweltschutz da, glaube ich, nur vorgeschoben wird. Gibt es einen Trend weltweit, dass wird immer stärker reguliert?
Axel Engeldrum: Ja, das ist schon ein Trend, den wir erkennen können. Manchmal aus wirtschaftlichem Interesse, vielleicht wie hier in Alaska die Regel, die uns den Einsatz von Zodiacs verbietet. In Norwegen haben wir eine Tendenz, das große Ganze zu erkennen. Also es ist schon so, dass viele Staaten erkennen, dass der Tourismus zugenommen hat und dass man darauf schaut.
„Wenn ich dort hineinfahren möchte, muss ich eine Genehmigung beantragen.“
Auch in Grönland wird viel diskutiert. Da gibt es große Nationalparks, die inzwischen aber auch von der grönländischen Nationalparkverwaltung kontrolliert werden. Wenn ich dort hineinfahren möchte, muss ich eine Genehmigung beantragen, wie man das auch aus anderen Nationalparks weltweit kennt, auch im privaten Bereich.
In Norwegen haben wir für Spitzbergen eine neue Lage bekommen. Da sind jetzt ein paar Plätze eingeschränkt worden und man muss sehen, wie wir die Reisen dort in Zukunft neugestalten.
Franz Neumeier: Das bedeutet, dass ich als Expeditionsreederei nicht beliebig oft und noch mehr Schiffe überall hinschicken kann. Offensichtlich existiert da doch ein relativ enges Regime an Regularien und Beschränkungen an den meisten Orten der Welt?
Axel Engeldrum: Genau, man kann nicht überall hinfahren. Also in Grönland gibt es Fjorde, in denen ich mich frei bewegen kann, wenn ich eine Genehmigung für den Nationalpark habe. Da kann ich frei entscheiden, an einem Platz einfach mal auszusteigen – natürlich mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen gegen Eisbären, damit da keine Unfälle passieren.
Aber in der Antarktis haben wir auch Plätze, da bin ich vor 20 Jahren noch gewesen, relativ kleine Plätze für kleine Schiffe. Und dann hat man irgendwann gemerkt, wenn da immer mehr Schiffe hinkommen, dass der Bereich, in dem man sich an Land bewegen kann, doch sehr eng wird, denn man möchte weder die Pinguinkolonie bedrängen, noch irgendetwas kaputt treten. Und da werden dann auch mal ganze Bereiche innerhalb der IAATO gesperrt.
„Wir haben ja auch ein ureigenes Interesse daran, das möglichst naturnah zu erhalten, um dort auch in Zukunft hinfahren zu können.“
Da beschließen wir dann, den Bereich bis März zu schließen, bis die Brutzeit und Aufzuchtzeit der Pinguine vorbei ist. Dann verlassen die Tiere ihre Nester, dann kann man da wieder hingehen.
In der Antarktis ist das alles innerhalb der IAATO entstanden, denn dort gibt es ja keinen Staat, der verpflichtend sagen kann: ‚Ihr dürft dort und dort nicht mehr hinfahren.‘ Die Antarktis ist ein freies Gebiet.
Wir haben ja auch ein ureigenes Interesse daran, das möglichst naturnah zu erhalten, um dort auch in Zukunft hinfahren zu können.
Franz Neumeier: Die eingangs schon erwähnten Kommentare bei Facebook oder aus dem Bekanntenkreis sind auch mal nur sehr schnell dahingesagt und beruhend darauf, dass einem das Hintergrundwissen dazu fehlt. Ich denke, es ist wichtig zu realisieren, dass die Expeditionskreuzfahrt-Branche durchaus intensiv mit diesen Aspekten beschäftigt und dass es Vereinigungen wie die IAATO und AECO gibt. Jetzt kann man natürlich sagen: ‚Klar, Industrieverband, was soll da schon groß kommen? Natürlich verfolgen die ihre Interessen und wollen möglichst viel Geld verdienen.‘
Aber ich glaube, es ist ganz spannend zu sehen, dass da keineswegs Wild-West-Stimmung herrscht, jeder fährt überall hin und wenn Arktis und Antarktis voll sind, kommen als nächstes die Warmwassergebiete dran, indem man abgelegene Regionen mit indigenen Völker überrennt, die sich nicht wehren können. In der Arktis sind es die Pinguine. Und in der Arktis vertreiben wir die Eisbären. Da sind eben doch sehr viel Regeln und Begrenzungen vorhanden.
Axel Engeldrum: Die sind vorhanden. Klar sind wir auch ein Industrieverband. Das ist ein absolut legitimes Argument auf der einen Seite. Aber wir haben ja zum Glück ein Schiff voller Passagiere. Sehr viele von ihnen verbreiten und teilen ihre Eindrücke inzwischen auch in sozialen Medien. Da macht man schon aus ureigenem Interesse keine Aktionen, die vielleicht völlig daneben sind, etwa durch Pinguinkolonien zu laufen, was man nicht darf, oder sich irgendwo – übertrieben gesagt – wie die Axt im Walde benehmen.
„Unsere Gäste sind sehr kritisch. Das ist schon auch Kontrolle.“
Das würde schnell öffentlich sichtbar werden. Unsere Gäste sind sehr kritisch, was viele Sachen angeht und auch das würde sich überall multiplizieren. Da muss man schon aufpassen, wie man sich verhält. Das ist schon auch Kontrolle.
Franz Neumeier: Ich war einmal unterwegs – aus gleich nachvollziehbaren Gründen sage ich jetzt nicht, wann und wo das war. Wir an einem Strand, kamen gerade von der Wanderung zurück und am Ufer lag ein großes Paket. Da hatte es geschätzt 20 Kilo Kokain angespült. Ich war in mein Leben noch nie so nahe an so viel Rauschgift dran, oder genau genommen überhaupt an Rauschgift. Aber um auf den Punkt zu kommen: Natürlich wurden sofort Handy-Fotos gemacht, sicherlich mit dem Gedanken, die Story gleich mal allen Freunden bei Facebook zu erzählen.
Doch dann kam schnell und deutlich die eindringliche Bitte des Kapitäns: ‚Bitte postet das jetzt nicht auf Instagram & Co.‘ Und zwar nicht, weil die Reederei mit so einem Thema nicht in Verbindung gebracht werden wollen, sondern weil die Einheimischen dort in Lebensgefahr schweben würden, wenn der ursprüngliche Besitzer des Kokains mitkäme, wo seine Drogen angespült wurden.
Deshalb bleibe ich selbst hier auch vage, was Ort und Zeitpunkt dieses Ereignisses angeht. Das zeigt, denke ich, exemplarisch, wie aufmerksam die Öffentlichkeit heute für jedes Detail ist, das irgendwo passiert. Was auch immer man tut, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sofort irgendwo bei Instagram, Facebook, X, Tiktok oder sonstwo aufschlägt.
Axel Engeldrum: Man kann oft nur auf die Vernunft der Leute appellieren: Haltet Euch mal zurück, das in den sozialen Medien zu posten in einem solchen Extremfall, wie Sie ihn gerade beschrieben haben. Aber meine Erfahrung ist, dass das sehr schwer ist. Wenn man jemanden bittet etwas nicht zu posten, in dem Moment ist es eigentlich schon draußen. Also das funktioniert oft nicht. Die sozialen Medien haben sich ein bisschen verselbstständigt und die Idee, irgendwas zu posten, ist oft sehr unreflektiert.
Franz Neumeier: In einem solchen Extrembeispiel auf jeden Fall. Auf der anderen Seite ist Social Media als Regulativ auch ganz gut, denn es trägt dazu bei, dass nichts – oder weniger – passiert, was nicht passieren sollte.
„Auch wenn wir an Bord Gesprächsrunden mit den Passagieren haben: Die Fragen werden kritischer.“
Axel Engeldrum: Ja, so hat man immer viele, die einen kontrollieren und auch kritisch kontrollieren. Ich bin jetzt seit 20 Jahren in diesen Regionen unterwegs und da hat sich schon viel verändert. Auch wenn wir an Bord Gesprächsrunden mit den Passagieren haben: Die Fragen werden kritischer. Warum machen wir das? Oder warum passiert das? Es wird alles beleuchtet und das ist ja auch richtig, finde ich.
Man sollte dieses Reisen bewusst wahrnehmen. Wer reist, sollte sich bewusst sein, was er hier tut und das auch selbst einmal hinterfragen. Diese Entwicklung ist schon spannend.
Franz Neumeier: Das ist eine wichtige Erkenntnis zum Ende unseres Gesprächs: Dass es einen Trend zur Veränderung gibt, zeigt, dass Ihre Grundidee der Expeditionskreuzfahrt Früchte trägt.
„Ich erlebe weltweit, dass immer mehr Menschen aufstehen, Dinge überdenken und anders angehen.“
Axel Engeldrum: Es trägt Früchte und ist ein immer wichtigeres Thema. Umweltbewegungen hatten wir in Deutschland schon immer, aber diese Bewegung erleben wir jetzt auch in anderen Ländern. Das habe ich in Brasilien erlebt. Starke Bewegung, als wir den Amazonas hochgefahren sind, wo die Menschen bestimmte Abrodungspläne der Regierung nicht mehr mitgehen wollen und dagegen vorgehen.
Das finde ich spannend, denn das wird ja oft als ‚typisch deutsches‘ Phänomen gesehen und wir würden uns damit nur selbst geißeln. Aber das ist nicht richtig. Ich erlebe weltweit, dass immer mehr Menschen aufstehen, Dinge überdenken und anders angehen.
Franz Neumeier: Vielen Dank, dass Sie sich für dieses nicht ganz einfache Thema für unsere Leser (und Podcast-Hörer) geöffnet haben. Ich finde es sehr wichtig, neben den romantischen und schönen Seiten der Kreuzfahrt auch über solche Aspekte zu sprechen. Oft geht man an solche Themen sehr unbedarft heran, weil man zu wenig darüber weiß. Jetzt wissen wir darüber einiges mehr als zuvor.
Kreuzfahrt und Umweltschutz passen sowieso nicht zusammen da nicht nötige Erzeugung von CO2.
Wenn ich nicht mitfahre ist es aber egal denn das Schiff fährt sowieso.
Es fahren Gäste mit dem Schiff mit und dann erst fragen sie was machen wir da ????
Das sollte man vor der Buchung überlegen
@Hans: Ich würde da etwas stärker differenzieren wollen … Umweltschutz ist das eine, Klimaschutz das andere. Umweltverschmutzung findet lokal statt, da kommt es also darauf an, wo genau das Schiff unterwegs ist und da sind die relativen Auswirkungen in der Arktis oder Antarktis möglicherweise stärker als beispielsweise im Mittelmeer, wo es ohnehin schon ein sehr hohes „Grundrauschen“ an Umweltverschmutzung gibt. Klimaschutz, also CO2 (und bei LNG-Schiffen Methan), ist dagegen global, sodass es für die Wirkung egal ist, wo die Emissionen stattfinden. (und mal ungeachtet des Aspekts, dass Urlauber nicht ersatzlos auf eine Kreuzfahrt verzichten würden, sondern stattdessen eine andere Urlaubsform wählen, die potenziell auch nicht besser ist, siehe: https://www.cruisetricks.de/kreuzfahrt-co2/ )
Die Aussage „nicht nötig“ finde ich eher problematisch. Wer definiert denn, was „nötig“ ist und was nicht? Das ist eine sehr ideologische Frage und sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft nur mit sehr viel Bedacht angegangen werden. Zumal unser Wirtschaftssystem, unsere gesamte Gesellschaft, extrem von „unnötigen“ Dingen lebt und ohne sie nicht funktionieren würde. Denn was ist denn wirklich „nötig“? Brot, Wasser, ein Dach über dem Kopf. Schon ein Bett wäre unnötig, weil man ja auch auf dem Boden schlafen kann. ;-) Ich übertreibe absichtlich extrem, um zu zeigen, was ich damit meine. Würden wir die Welt auf das in diesem Sinne „nötige“ reduzieren, würde unsere Wirtschaft, damit auch unsere staatliche Ordnung, unsere Gesellschaft komplett zusammenbrechen.
Der Gedanke, erst während der Reise zu fragen, was man da macht, war, glaube ich, anders gemeint. Menschen fahren erst einmal in die Antarktis, weil sie das schon immer auf der Bucket-List hatten, aus Begeisterung für die Natur o.ä. – und vor Ort entwickeln sie dann auch ein erhöhtes Bewusstsein für die Empfindlichkeit der Natur, stellen sich Fragen, die ihnen vorher nicht gekommen waren, denken mehr darüber nach … Und das ist dann genau dieser Nutzen solcher Reisen, von denen in dem Interview die Rede ist.